Stellungnahme zum Kopftuchverbot in Kindergärten

Stellungnahme des Frauenreferats der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich 

zu der Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern über die Elementarpädagogik für die Kindergartenjahre 2018/19 bis 2021/22

 

Die Vereinbarung setzt sich zum Ziel, für Kinder in elementaren Bildungseinrichtungen einen „bestmöglichen Start ihrer Bildungslaufbahn sicherzustellen und ihre Bildungschancen zu verbessern“. 

Wichtige Werte

In einer von zunehmendem Pluralismus geprägten Gesellschaft ist die Elementarpädagogik mit der Aufgabe konfrontiert, Kinder von frühestem Alter an darauf vorzubereiten mit Vielfalt umgehen zu können und dabei einen wertschätzenden und von Respekt begleiteten Umgang im sozialen Miteinander zu entwickeln. Hilfreich dabei ist, wenn schon früh bewusstgemacht wird, dass es bei aller Vielfalt der sozialen, ethnischen und religiösen Hintergründe gemeinsame Grundlagen gibt. Pädagoginnen und Pädagogen leisten bereits heute sehr viel, wenn sie Kindern im täglichen Zusammenleben, beim gemeinsamen Spielen, Essen, sportlicher und musischer Betätigung vermitteln, worin diese gemeinsamen Grundlagen ethischen Verhaltens bestehen.

Von daher ist eine Berücksichtigung des damit verbundenen Wertebewusstseins und dessen Förderung ein wichtiger Gesichtspunkt. Dazu ist eine Haltung der Inklusion erforderlich, wie sie pädagogische Konzepte vorsehen, die Pluralismusfähigkeit fördern. Kinder und Jugendliche werden gleichermaßen wertschätzend behandelt und die Vielfalt der Hintergründe in der pädagogischen Begleitung so aufgegriffen, dass das Gemeinsame in den Vordergrund tritt.

Der pädagogische Ansatz, wie ihn die Broschüre „Werte leben, Werte bilden“ beschreibt, folgt diesem weitgehend. Die Broschüre wurde vom BMBWF, der Pädagogischen Hochschule NÖ und dem ÖIF herausgegeben. Besonders hervorgehoben werden die Werte Partizipation, Achtung, Respekt, Gleichwertigkeit, Toleranz und Offenheit, Verantwortung für sich, für andere, für die Natur, Selbstbestimmung, Autonomie, Freiheit, Gemeinschaft und Freundschaft, Empathie und Friede

Bei allen diesen genannten Werten lässt sich sehr schön erkennen und leben, dass es hierbei um universale Werte geht, die aus den verschiedenen Kulturen und Religionen heraus in ihren jeweiligen eigenen Traditionen und Quellen begründet werden können. 

Wertevermittlung und Verbotspolitik sind ein Widerspruch 

Umso verstörender und befremdlicher ist es, wie der Text der Vereinbarung diesen Geist der Inklusion an entscheidenden Stellen missen lässt. Wiederholt werden die „grundlegenden Werte der österreichischen Gesellschaft“ beschworen, die es zu vermitteln gelte. Diese „grundlegenden Werte der österreichischen Gesellschaft“ werden in der Vereinbarung selbst allerdings nicht näher erläutert. Stattdessen wird in Artikel 3/Abschnitt 1 ein Verbot ausgesprochen. Wörtlich heißt es: „Um die bestmögliche Entwicklung und Entfaltung aller Kinder sicherzustellen, ist in elementaren Bildungseinrichtungen Kindern das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Kleidung zu verbieten, die mit der Verhüllung des Hauptes verbunden ist. Dies dient der erfolgreichen sozialen Integration von Kindern gemäß den lokalen Gebräuchen und Sitten, der Wahrung der verfassungsrechtlichen Grundwerte und Bildungsziele der Bundesverfassung sowie der Gleichstellung von Mann und Frau.“ Hier wird also sehr bewusst ein Gegensatz zwischen einer verhüllenden Kopfbedeckung und den verfassungsrechtlichen Grundwerten und Bildungszielen der österreichischen Bundesverfassung konstruiert. 

Was noch scheinbar neutral als allgemeines Verbot präsentiert wird, wohl um dem Gleichheitsgrundsatz nicht zuwiderzulaufen, erweist sich erst bei der Lektüre der Erläuterungen zum Text der eigentlichen Vereinbarung als gezielt gegen das islamische Kopftuch gerichtet. In den Erläuterungen heißt es:„Das Tragen des islamischen Kopftuches von Kindern in elementaren Bildungseinrichtungen kann zu einer frühzeitigen geschlechtlichen Segregation führen, welche mit den österreichischen Grundwerten und gesellschaftlichen Normen nicht vereinbar ist. Die Orientierung an religiösen Werten darf nicht im Widerspruch zu den Zielen der staatsbürgerlichen Erziehung stehen, die sich an den genannten Grundwerten orientiert und die auch die Gleichstellung von Mann und Frau sicherstellen soll. Das Verbot des Tragens weltanschaulicher und religiös geprägter Bekleidung bezieht sich lediglich auf Bekleidung, welche das gesamte Haupthaar oder große Teile dessen verhüllt. In Umsetzung dessen sollen geeignete Maßnahmen im Falle eines negativen Integrationsbemühens zur Anwendung kommen.“

Musliminnen und Muslime dürfen nicht als Folie der Abgrenzung missbraucht werden

Als Musliminnen und Muslime verwahren wir uns davor als Projektionsfläche des „Anderen, des Fremden“ politisch missbraucht zu werden. Mit diesem Verbot und der Behauptung eines angeblichen Widerspruchs zwischen „religiösen Werten“ und „Zielen der staatsbürgerlichen Erziehung“ wird einmal mehr der Versuch unternommen, die eigenen Werte dadurch bestätigt zu sehen, indem man sie scheinbar gegen „den Islam/die Musliminnen und Muslime“ verteidigen muss. 

Phantomproblem „Kopftuch im Kindergarten“:

-      Beim Kopftuchtragen im Kindergartenalter handelt es sich um ein Phantomproblem. Denn das islamische Kopftuch ist für diese Altersgruppe nicht wirklich relevant. In der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ist bisher kein einziger Fall bekannt geworden, bei dem Eltern ein Mädchen im Kindergartenalter dazu nötigten, mit Kopftuch bekleidet zu sein. Dies zeigt auf, dass der angebliche Handlungsbedarf völlig konstruiert ist. 

-      Absurd scheint auch der Verweis auf die „soziale Integration von Kindern gemäß den lokalen Gebräuchen und Sitten“, mit der das Verbot scheinbar begründet werden soll. Eine solche Formulierung und damit verbundene Restriktion steht ja in völligem Widerspruch zu den eigentlich beschworenen Werten (zumindest laut der Wertebroschüre, auf die die Vereinbarung wiederholt verweist, ohne sie allerdings je direkt zu zitieren oder auch nur ihren korrekten Titel und Autoren anzugeben).  Genannt werden in dieser Handreichung Partizipation, Achtung, Respekt, Gleichwertigkeit, Toleranz und Offenheit, die wohl gerade dann zum Tragen kommen würden, falls ein unterschiedlicher kultureller oder religiöser Hintergrund einmal sichtbar würde. Abgesehen davon ist auch zu hinterfragen, warum ein Kopftuch auf einmal als sozial unverträglich dargestellt wird, während es im deutschen Sprachraum – gerade in bildlichen Darstellungen kleiner Kinder! – kulturell verankert ist. Erinnert sei etwa an Kinderbuchillustrationen, aber auch das Werbesujet für einen bekannten Fruchtsaft, das noch heute ein rotbackiges Mädchen mit einem Kopftuch zeigt, welches das Haar fast vollständig verdeckt  – allerdings mit blonden darunter hervorschauenden Stirnfransen. 

-      Ebenso an den Haaren herbeigezogen und konstruiert sind auch die Begründungen, die für die angebliche Notwendigkeit eines Verbots ins Feld geführt werden und krampfhaft versuchen, das Kopftuch an sich zu diskreditieren. 

Wir wenden uns gegen Projektionen auf das Kopftuch, die dem islamischen Selbstverständnis widersprechen:

-      In der Vereinbarung geht es scheinbar ausschließlich um das Kindergartenalter. Gleichzeitig werden Zuschreibungen in Bezug auf das Kopftuchtragen vorgenommen, die sich sehr allgemein auf jede muslimische Kopftuchträgerin beziehen und ihr eine Reihe negativer Konnotationen unterstellen.  Diese Projektionen werden im Folgenden genauer betrachtet und zurückgewiesen. Hier darf kein Einfallstor für eine Folgegesetzgebung entstehen, die sich dann gegen Musliminnen allgemein richten könnte!

-      Die Gleichstellung von Mann und Frau in ihrer Menschenwürde wie in ihrem Recht auf Chancengleichheit wird durch das Tragen eines Kopftuches nicht behindert. Daher ist es völlig unzulässig aus dem Kopftuch ein Symbol mangelnder Gleichstellung zwischen Mann und Frau machen zu wollen. Eine solche Interpretation, die sich eindeutig gegen das islamische Selbstverständnis richtet, stellt einen Eingriff in das Recht auf die innere Autonomie einer anerkannten Religionsgesellschaft dar, ihre Religion selbst auszulegen. Dahinter steckt der Versuch der Konstruktion von Scheinargumenten, um der massiven Einschränkung von Religionsfreiheit einen Anstrich der Legitimation zu geben.

-      Ebenso abzulehnen ist die Behauptung, dass kopftuchtragende Musliminnen sich damit in eine „Segregation“ der Geschlechter begeben.  Viele kopftuchtragende Frauen beweisen Tag für Tag das Gegenteil, z.B. in ihrem beruflichen Alltag. 

-      Strikt abgelehnt wird auch der Versuch, einer Kopftuchträgerin „mangelnde Integrationsbemühungen“ zu unterstellen. Hier entlarvt sich besonders deutlich, dass es der Regierung nicht um die Partizipation von Musliminnen geht, sondern diese anscheinend ein Problem mit der Sichtbarkeit islamischer Bekleidung hat. Seit 1912 ist der Islam in Österreich eine anerkannte Religionsgemeinschaft und steht daher unter staatlichem Schutz. Es ist dreist, völlig in Abrede zu stellen, dass eine Frau auch mit Kopftuch sehr wohl integriert sein kann, umso mehr, als viele Musliminnen auch voll in der Gesellschaft teilhabende österreichische Staatsbürgerinnen sind. Der Terminus „Integration“, der impliziert, dass die volle Teilhabe im Sinne des Allgemeinwohls stattfindet, wird im gegenständlichen Text eher im Sinne von „Assimilation“ als bedingungslose Anpassung gebraucht. 

 

Das Frauenreferat der IGGÖ weist Versuche einer Dämonisierung und Kriminalisierung des Kopftuches bzw. seiner Trägerin zurück:

 

-      Wir stehen voll und ganz hinter dem Selbstbestimmungsrecht von Frauen und Mädchen.

-      Wir weisen darauf hin, dass Kopftuchträgerinnen, die diesen Bekleidungsstil für sich bewusst gewählt haben, diese Bekleidung neben dem religiösen Aspekt auch als kleidsam und ästhetisch ansprechend erleben und dementsprechend gerne tragen.

-      Von daher mag es sehr wohl vorkommen, dass ein kleines Mädchen in spielerischer Nachahmung der Mutter einmal ein Kopftuch aufsetzen möchte. Es scheint pädagogisch fragwürdig, einem Kind nahezulegen, das vielleicht einmal spielerisch getragene Kopftuch an der Garderobe abzulegen (wie es die Wertebroschüre vorschlägt) und damit eigentlich auch die eigene Mutter und deren Kleidung ins Zwielicht zu rücken.

-      Laut den Erfahrungsberichten von Pädagoginnen und Pädagogen lässt sich die so gut wie nie auftretende Situation, in der ein Kindergartenkind einmal mit Kopftuch erscheint,  gut handhaben, wenn man damit möglichst entspannt umgeht – übrigens ganz in jenem Stil, der in der Wertebroschüre ansonsten ans Herz gelegt wird! Diese Unverkrampftheit sorgt dann auch dafür, dass es im frühen Kindesalter bei einem Ausprobieren bleibt.

-      In der schon angesprochenen Wertebroschüre heißt es auf S. 17 unter dem Aspekt von Selbstbestimmung, Autonomie, Freiheit ganz richtig im Einklang mit der UN Kinderrechtskonvention, die unter Artikel 14 die freie Meinungsäußerung eines Kindes zu respektieren fordert. „Jedes Kind entscheidet, was/wie viel es anziehen will…“  Diesen wichtigen und richtigen Grundsatz würde jede Verbotspolitik ad absurdum führen! 

-      Nicht vergessen werden soll, dass das islamische Kopftuch auch von noch nicht religionsmündigen Mädchen bei einigen Gelegenheiten in Nachahmung der Erwachsenen gerne getragen wird. Dazu gehören etwa religiöse Feiertage, das rituelle Gebet oder das feierliche Rezitieren des Korans. 

Gerade bei solchen Gelegenheiten mit ihrem zutiefst spirituellen Hintergrund wird das Kopftuch auch als etwas Schönes erlebt. Es wäre entschieden gegen die Religionsfreiheit, aus dem Kopftuch nun ein Kleidungsstück höchst zweifelhaften und negativen Charakters machen zu wollen.

Verbotspolitik in Bezug auf religiöse Kleidung ist aus der Perspektive der Menschen- und Grundrechte höchst problematisch

-      Wie bereits angeklungen, sind auch Kinder in ihrer freien Meinungsäußerung und dem Wunsch nach einer gelebten Religion zu respektieren. 

-      Darüber hinaus sind Eltern als Erziehungsberechtigte befugt, ihren Kindern das eigene religiöse Verständnis und die damit verbundene Religionspraxis mitzugeben. 

-      Das geplante Verbot stellt einen gravierenden Einschnitt in beide Rechte – sowohl aus Perspektive des Kindes, als auch der Eltern – dar. Dieser ist umso mehr mit nichts zu rechtfertigen, als es sich bei der ganzen angeblichen Problematik um eine bloße Phantomdebatte handelt.

-      Indem nun eine Sonderdisziplinierung von Musliminnen und Muslimen stattfinden soll, mag dies zuvor politisch verstärkte Ressentiments gegen die „anderen“ bedienen. Tatsächlich aber ist jede Verbotspolitik, die sich in einen offenen Widerspruch zu den eigentlich für sich proklamierten Werten begibt, blanker Populismus. Gemeinsame Werte, wie sie die mehrfach zitierte Broschüre in den Mittelpunkt rückt, zu denen sehr zentral auch das Kindeswohl gehört, sollten als gemeinsames Gut vermittelt werden. Stattdessen werden Musliminnen und Muslime pauschal verunglimpft und ihre Eignung als Eltern in Frage gestellt. Damit soll eine Einschränkung ihrer Grundrechte und Menschenrechte legitimiert werden.

Damit erreicht diese Verbotspolitik gerade nicht, was sie zu schützen vorgibt

Sie schafft Polarisierung und Ausgrenzung, wo keine sein müsste. Sie postuliert die Notwendigkeit einer Ungleichbehandlung gegenüber einer einzelnen religiösen Gruppierung und stellt damit auf dramatische Weise genau jene zentralen Werte in Frage, die sie zu verteidigen vorgibt. Letztlich riskiert sie als bloße Symbolpolitik das hohe Gut sozialen Zusammenhalts in der Gesellschaft. 

Umso bedenklicher muss stimmen, dass sich dies auf dem Feld der Elementarpädagogik abspielt – jenem Altersbereich, wo wichtige Weichenstellungen für die Zukunft persönlicher Entfaltung und eines gedeihlichen sozialen Miteinanders gestellt werden. Diese Chance wird vertan, solange durch Verbotspolitik mehr Exklusion als Inklusion gefördert wird. 

Wien, am 16. Oktober 2018

Frauenreferat der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich 

verfasst von Carla Amina Baghajati