Thema Scheidung

Ehescheidung im Islam –

unter besonderer Berücksichtigung der Möglichkeiten einer Ehefrau, sich von ihrem Ehegatten scheiden zu lassen

von Carla Amina Baghajati

 

Von den erlaubten Dingen gilt die Ehescheidung zwar bei Gott als „das am meisten verabscheute“. Freilich stellt diese eine Option dar, wenn die Verbindung sich als nicht fortführbar darstellt.

 

Prinzipiell kann die Initiative zu einer Ehescheidung nach islamischem Verständnis sowohl vom Mann, als auch von der Frau ausgehen. Allerdings erscheinen die Möglichkeiten der Frau gegenüber jenen des Mannes als eher begrenzt. Freilich werden die Männer im Koran immer wieder dazu ermahnt, verantwortungsvoll und gerecht zu handeln. So stellt eine islamische Besonderheit dar, dass eine Scheidung (so nicht dreimal hintereinander ausgesprochen, was sehr verpönt ist) nicht sofort wirksam wird, sondern zunächst eine Wartefrist (oder auch Bedenkzeit) von drei Monaten beginnt (`Idda). In dieser Phase gilt die Ehescheidung als aufgehoben, wenn der Mann dies verbal äußert oder es zum Beischlaf zwischen den Eheleuten kommt. Erst bei der dritten Scheidung gilt diese als unwiderruflich.

 

Es ergeben sich drei Möglichkeiten für die Frau zur Ehescheidung:

-      `Isma:Bereits im Ehevertrag sichert sich die Frau das Recht zu, die Scheidung verlangen zu können (`Isma), die ihr dann auch gewährt werden muss. Dies ist prinzipiell möglich, aber in vielen muslimisch geprägten Gesellschaften eher unüblich. Historisch betrachtet wurde die `Isma vor allem dann in den bei jeder Ehe abzuschließenden Vertrag eingetragen, wenn die Frau sozial und vielleicht auch finanziell bessergestellt war als ihr Mann. Die `Isma ist so auch ein Mittel der Stärke, etwa um die sofortige Scheidung zu erwirken (oder mit ihr zu drohen), falls der Ehemann eine weitere Ehe eingehen möchte.

-       Khul‘: Die Ehefrau erwirkt eine Scheidung, indem sie dem Ehemann einen finanziellen, bzw. materiellen Ausgleich leistet. Im Koran findet sich dazu ein Beleg in 2:229, wo es erst eher generell um die zweimalige Möglichkeit des Widerrufs der Ehescheidung geht und die Männer ermahnt werden, den Frauen nichts wegzunehmen, ehe es heißt: „…soll keine Sünde auf einem jeden von ihnen sein wegen dem, was die Ehefrau (an ihren Ehemann) hingeben mag, um sich frei zu machen….“ Oft beinhaltet dieses „sich frei machen“ die Rückgabe des Brautgeschenks, das sie einst von ihm erhalten hatte. Für diese Möglichkeit gibt es auch einen Präzedenzfall in der Zeit des Propheten Muhammad: Dschamila, Gattin von Thabit Ibn Qais, ging zu ihm, um ihm zu schildern, wie sie mit diesem – trotz seines guten Charakters und seiner Religiosität – nicht zusammenleben könne, offensichtlich weil „die Chemie nicht stimmte“. Daraufhin fragte der Prophet sie, ob sie bereit sei, dem Mann seinen Garten zurückzugeben, womit sie sich einverstanden erklärte. Daraufhin sagte der Prophet zu Thabit Ibn Qais: „Nimm‘ den Garten an und erteile ihr eine einzige Ehescheidung!“

Hier zeigt sich, dass das Scheidungswort selbst in diesem Falle einer von der Frau initiierten Scheidung letztlich vom Manne ausgeht, der es allerdings aus moralischer Sicht nicht verweigern sollte. Bei der Khul‘-Scheidungsform gelten einige Besonderheiten. Die Höhe des finanziellen Ausgleichs entspricht den Abmachungen zwischen den Ehepartnern. Falls kein finanzieller Ausgleich geleistet wird, ist dies auch möglich, indem die Khul‘ Scheidung im metaphorischen Sinne aufgefasst wird. Während der Eheauflösungsfrist (`Idda) kann der Mann nicht (wie bei einer auf seine Initiative erfolgten Scheidung) von einem Rückkehrrecht zur Ehe Gebrauch machen.  Sollten beide doch wieder zusammenleben wollen, muss ein komplett neuer Ehevertrag geschlossen werden. Außerdem ist es unerheblich, ob die Ehefrau gerade ihre Menstruation hat oder nicht, da ja sie den Scheidungswunsch vorgebracht hat und die sonstige zu ihren Gunsten gedachte Bestimmung, dass sie bei Aussprechen der Scheidung nicht ihre Menstruation haben dürfe, unerheblich ist. Die Khul‘-Scheidung kommt vor allem in jenen Fällen zum Tragen, wo eine Frau es sich leisten kann oder will, auf finanzielle Ansprüche zu verzichten, indem sie erst gar nicht zur Diskussion stellt, ob den Mann Vorwürfe am Scheitern der Ehe oder gar Schuld trifft, sondern sich dazu bekennt, mit ihm einfach nicht mehr zusammenleben zu wollen/können. Denn bei anderen Scheidungsformen käme mit größter Wahrscheinlichkeit zum Tragen, dass der Ehemann ihr selbstverständlich ihre Brautgabe (Morgengabe) überlässt und zusätzlich auch jene Summe Geldes an sie zahlen müsste, die für sie als soziale Absicherung im Scheidungsfall vorgesehen ist (mahr).

-      Antrag auf Ehescheidung durch einen Richter, gestellt von der Frau: Unter bestimmten Umständen kann in einem islamischen Staat, bzw. in einem Land, in dem islamisches Familienrecht angewendet wird, der Richter den Ehemann zur Ehescheidung zwingen. Wird der Mann wie unten bei etlichen Fällen „schuldig“ geschieden, so kann ihm auch die Zahlung des mahr, dessen Höhe im Ehevertrag festgelegt wurde, befohlen werden. Dies kann in folgenden Fällen beispielsweise geschehen: 

-  aufgrund von Unterlassung oder Verweigerung der Unterhaltszahlungen, wie sie der Ehefrau zustünden

 - wegen Impotenz, ansteckenden Krankheiten oder Geistesgestörtheit

-  wegen schlechten Umgangs, Anfeindung und Missachtung der Würde und Ehre seiner Frau

-  aufgrund von Gewaltausübung des Ehemannes

-  aufgrund schädigender Abwesenheit (gängig ist ein Maximum von vier Monaten Alleinlassen der Ehefrau anzunehmen)

-  wegen einer Gefängnisstrafe, bzw. Gefangenschaft des Ehemannes

 

Ein nicht gültig zustande gekommener Ehevertrag stellt einen Sonderfall dar, der auch nach Behandlung durch das Gericht verlangen kann.Hier wäre allerdings nicht die Scheidung (talaq), sondern eher eine Annullierung gefragt (fasach). Zu den Bedingungen eines gültigen Ehevertrages gehört das freie Jawort der eheschließenden Partner. Stellt sich heraus, dass dieses nicht gegeben war (Stichwort „Zwangsheirat“), so kann ein Verfahren angestrengt werden, den Ehevertrag aufzulösen, da eine Grundbedingung von vornherein nicht gegeben war. Allerdings fällt der Nachweis oft nicht leicht, auch weil bei einer ersten Eheschließung eines jungen Mädchens gewöhnlich ein Stellvertreter (waly) in ihrem Namen agiert. Dieser darf keine Eheschließung gegen ihren Willen vornehmen, sondern muss in seinem Tun ausdrücklich von ihr bevollmächtigt sein und in ihrem Interesse handeln. Leider kommt es noch immer vor, dass auf Mädchen Druck ausgeübt wird, den für sie ausgewählten Ehekandidaten zu akzeptieren, weil alle ja „das Beste für sie wollen“.  Noch gravierender sind jene Fälle, wo vorislamische Bräuche praktiziert werden, um Konflikte zwischen Familien per Eheschließung beizulegen und damit ein hoher moralischer Druck ausgeübt wird, weil sich die für einander von außen bestimmten Ehepartner (Frau wie Mann) verpflichtet sehen, die ihnen zugedachte Aufgabe zum Wohle der Familie auch durchzuhalten. Daher sei erwähnt, dass der Islam vorislamische Gebräuche wie die „Blutrache“ ablehnt. Auch Sitten und Verhaltensweisen, die damit in Zusammenhang stehen, so etwa eine Eheschließung zwischen einem Mädchen der „Täterfamilie“ und einem Angehörigen der „Opferfamilie“, wobei die Frau eine Art Faustpfand darstellt, um weiteres Blutvergießen zu verhindern, finden weder Erwähnung im Koran, noch gibt es dafür Belege im beispielhaften Leben des Propheten Muhammad.

Dagegen gibt es für die Unzulässigkeit von Zwangsheirat verschiedene Belege aus den islamischen Quellen. Dazu zählen diese beiden Hadith (vorbildhafte Begebenheiten aus dem Leben des Propheten Muhammad): Buraida sagte, dass eine junge Frau zum Propheten kam und sagte: „Mein Vater verheiratete mich mit dem Sohn seines Bruders, um sein Ansehen unter den Leuten zu erhöhen.“ Der Prophet machte darauf die Gültigkeit der Ehe von ihrer Entscheidung abhängig. Daraufhin sagte die junge Frau: „Ich akzeptiere und befürworte die Entscheidung meines Vaters, doch ich wollte den Frauen nur beweisen, dass Väter in dieser Sache keinen Zwang ausüben können.“ (Überliefert in Ibn Majah, und Imam Ahmad and Al-Nasa’i) und„Hansâ Bint Hidâm Al-Ansâriyya berichtet, dass sie als verwitwete Frau von ihrem Vater wiederverheiratet wurde, und dass sie damit nicht einverstanden war. Sie begab sich deshalb zum Gesandten Allahs und er machte ihre Ehe rückgängig.“  (Auszüge aus Sahih Al-Buchari, Hadith Nr. 5138)

In einem Ehescheidungsverfahren wird aus islamischer Perspektive auch eine Rolle spielen, ob die Ehe überhaupt vollzogen wurde. Das arabische Wort für „Ehevertrag“ lautet „nikah“, was gleichzeitig auch „Beischlaf“ meinen kann. Im Koran heißt es hierzu: „Ihr werdet keine Sünde auf euch laden, wenn ihr euch von Frauen scheidet, indessen ihr sie noch nicht berührt, noch eine Morgengabe für sie ausgesetzt habt; aber selbst in einem solchen Fall trefft Vorkehrung für sie – der Wohlhabende nach seinen Mitteln und der Beschränkte nach seinen Mitteln – eine Vorkehrung auf gerechte Weise: Dies ist eine Pflicht für alle, die Gutes tun wollen. Und wenn ihr euch von ihnen scheidet, bevor ihr sie berührt habt, aber nachdem ihr eine Morgengabe für sie ausgesetzt habt, dann gebt ihnen die Hälfte von dem, was ihr ausgesetzt habt – es sei denn, dass sie auf ihren Anspruch verzichten oder derjenige in dessen Hand der Ehevertrag ist (der Ehemann) auf seinen Anspruch (auf die Hälfte der Morgengabe) verzichtet: Und auf das zu verzichten, was euch zusteht, ist mehr in Übereinstimmung mit Gottesbewusstsein. Und vergesst nicht, dass ihr mit Gnade gegen einander handeln sollt: Wahrlich Gott sieht alles, was ihr tut.“ (Koran 2:236,237)

Zur Handhabung von Eheschließung und Scheidung von Seiten der Islamischen Glaubensgemeinschaft

In Österreich gilt für die Islamische Glaubensgemeinschaft das, was auch für die anderen anerkannten Glaubensgemeinschaften rechtlich vorgesehen ist: Eine Eheschließung erfolgt auf dem Standesamt und erst danach kommt es zur religiösen Zeremonie. Aus islamischer Sicht sind die Umstände einer standesamtlichen Eheschließung vergleichbar mit jenen bei einer islamischen. Daher sind auf diese Weise Verheiratete als verehelicht zu betrachten. Selbst wenn sie nicht gleich einen islamischen Ehevertrag eingehen, leben sie nicht in „Zina“ (außerehelichem Geschlechtsverkehr). 

Von der Islamischen Glaubensgemeinschaft werden Eheschließungen vorgenommen, wobei persönliche Dokumente von Braut und Bräutigam vorzulegen sind. Dies gewährleistet auch, dass es sich bei Eheschließungen um monogame Verhältnisse handelt. Eine „Zweitehe“ würde die Islamische Glaubensgemeinschaft als österreichische Institution nicht vornehmen. Auch nach islamischem Verständnis stellt diese eine Ausnahme dar, während die monogame Ehe die empfohlene Eheform bildet. Die Trauung ist ein eher schlichter Akt, der immer mit dem Abschluss eines Ehevertrages einhergeht. Darin sind das freie Jawort und damit das Eingehen der Ehe von beiden Seiten, Mann und Frau, sowie deren Personaldaten festgehalten. Die Anwesenheit von zwei Zeugen und der die Eheschließung vornehmende Imam sind ebenfalls dokumentiert. Außerdem gehört zum Vertrag eine finanzielle Vereinbarung zu Gunsten der Frau (mahr), meist zweigeteilt in Morgengabe und Entschädigungssumme. Falls es zur Scheidung kommen sollte, bietet letztere eine gewisse finanzielle Absicherung. Die Höhe ist offen und wird von den vertragschließenden Eheleuten zuvor vereinbart. 

Die Islamische Glaubensgemeinschaft empfiehlt den Ehevertrag auch dazu zu nutzen, die gemeinsame Zukunft gemeinsam zu besprechen und im Sinne der partnerschaftlichen Lebensplanung gewisse Eckpunkte im Vertrag individuell festzuhalten (Berufstätigkeit der Frau, Familienplanung, Aufenthaltsort, etc.). Diese Möglichkeit, bei Wunsch auch mit einem Beratungsgespräch verbunden, wird als sinnvolles Konfliktvermeidungsmittel angesehen.

Mitunter ist die Islamische Glaubensgemeinschaft auch mit Scheidungsfällen befasst. Hierzu kommt es zum Beispiel, wenn etwa eine Frau bereits rechtskräftig (vor österreichischen Behörden) von ihrem Mann geschieden ist, dieser aber die Ehe noch als islamisch aufrecht sieht, weil sie „über seinen Kopf“ ausgesprochen wurde. Auch die Frage der korrekten Auszahlung des mahr bringt Frauen zu uns, die dies von ihrem Exmann noch einfordern möchten. 

Es gab einige (wenige) Fälle, wo eine Scheidung von Personen (Frauen), die im Ausland geheiratet hatten und keine österreichische Staatsangehörigkeit besitzen, angestrengt wurde. Für diese Frauen war das von der Islamischen Glaubensgemeinschaft ausgestellte Scheidungspapier (nur nach eingehender Prüfung der Sachlage, vorgelegten Beweisen und idealerweise Anhörung von Zeugen, ja dem Ehemann) wichtig, um damit auch im Ursprungsland als geschieden gelten zu können.