Muslimische Frauen und Integration - Vortrag in Graz 2008

Muslimische Frauen und Integration

 

Referat von Carla Amina Baghajati, gehalten am 29. Mai 2008

im Rahmen der Vortragsreihe Islam in Österreich und in Europa

an der Karl-Franzens-Universität in Graz, inzwischen auch veröffentlicht in: "Der Islam in Österreich und in Europa: die Integration und Beteiligung der Muslime und Musliminnen in der Gesellschaft", hrsg. von Wolfgang Benedek und Kamel G. Mahmoud

 

„Muslimische Frauen im Integrationsprozess“ - Ein erfrischender Titel, der seitens der Veranstalter der Diskussionsreihe als Vorgabe eingebracht wurde. Denn ist es nicht so, dass gerade angesichts der verbreiteten Bilder und Vorstellungen zur muslimischen Frau als gegenüber dem Mann nicht gleichberechtigtem, ungebildeten und unterdrückten Opfer die Formulierung erst einmal stutzig macht? Das würde ja in die Richtung weisen, dass muslimischen Frauen eine Rolle in der Integration zukommt, sie eigenständiger Beiträge fähig und mächtig sind… Der Titel zeigt aber auch, wie wichtig es ist, sich dessen bewusst zu sein, wie allein schon mit der Fragestellung Akzente gesetzt werden können und womöglich Antworten in Gang gebracht werden.

 

Vielfalt innnerhalb der Gruppe muslimischer Frauen

So wie aber bei Veranstaltungen mit mehr oder weniger unterschwelligen Vorüberlegungen: „Wie vertragen sich eine Identität als muslimische Frau mit dem Leben in Österreich?“ Vorsicht angebracht wäre, so auch in unserem Fall. Denn von „der“ muslimischen Frau pauschalierend zu reden, gibt jeder Fragestellung eine womöglich zu simplifizierende Richtung. Die Heterogenität der Gruppe muslimischer Frauen muss hier mitgedacht werden. Es wäre zu eindeminsional, eine muslimische Frau einzig über ihr Religionsbekenntnis definieren zu wollen. In Österreich wie auch sonst in Europa ergeben sich aus der Vielfalt der Herkunftsländer, dem sozialen Hintergrund, dem Bildungsstand, der persönlichen Situation und der Migrationsgeschichte so vielschichtige und differenzierte Seiten, dass „die“ muslimische Frau so wenig wie „die“ christliche Frau eine fixe Kategorie darstellen kann.

 

Integration hat einen Rahmen: Sprache, Bildung, Beruf, Wohnen, Gesundheit, Soziales

Auch beim zweiten Teil des Titels sei ein kurzes Innehalten zur Rückfrage, was mit „Integration“ eigentlich gemeint sei, gestattet. Noch immer wird „Integration“ im Sprachgebrauch mit sehr verschiedenen Implikationen besetzt, so dass oft eine Vermischung zwischen den Begriffen Integration und Assimilation stattfindet. Wichtig scheint, „Integration“ weniger emotional zu denken, als gehe es darum, eine andere Person subjektiv als der Gesellschaft „zugehörig“ oder eben nicht einzuschätzen, sondern aufzuzeigen, dass diese Zugehörigkeit auch konkreten Bedingungen unterliegt. Integration hat mit den Faktoren Sprache und Bildung, Arbeitsmarkt, der sozio-ökonomischen Situation, Wohnen und Gesundheit zu tun. Diese Felder finden sich auch mit statistischem Material aufgearbeitet in einer Broschüre, die vom Österreichischen Integrationsfonds herausgegeben wurde.[1] Hier ist die Religionszugehörigkeit nur ein Thema am Rande. Die Angaben belegen sehr deutlich, dass Integration viel mit dem sozialen Status zusammenhängt. Die Mär von den Migranten, die den „echten Österreichern“ Raum – durchaus auch im übertragenen Sinne - streitig machen widerlegt die Statistik, wenn etwa der Anteil von Kategorie D Wohnungen bei Migrant/innen signifikant höher ist und für den schlechteren Wohnraum auch noch verhältnismäßig mehr Geld vom Gesamteinkommen aufgewendet werden muss.[2] Übrigens wird die Situation von Frauen mit Migrationshintergrund nicht gesondert mit Zahlen belegt.

 

Integration durch Partizipation

Auch um die Unschärfe zur häufig mit dem Integrationsbegriff ummäntelten Assimilationsforderung aufzulösen, also der Vorgabe, Integration sei erst gelungen, wenn möglichst keine Unterschiede zur Mehrheitsgesellschaft mehr sichtbar seien und die Minderheit völlig in ihr aufgegangen sei, haben sich Muslime in Österreich selbst Gedanken gemacht, wie sie „Integration“ gerne definiert sähen. Die Islamische Glaubensgemeinschaft wählte als Motto im Jahre ihres 25-jährigen Jubiläums 2004 „Integration durch Partizipation“. Damit wird ausgedrückt, dass Teilhabe Voraussetzung ist, in der Gesellschaft im Sinne des Allgemeinwohl zu wirken, wobei gleichzeitig die eigene Identität nicht in Frage gestellt ist.

 

Kompatibilität des Islam mit Europa?

In der öffentlichen Meinung liegt genau im Punkt des Beharrens auf der eigenen Identität freilich in Bezug auf den Islam ein Bereich vieler kritischer Fragen. Diese laufen meist darin zusammen, inwieweit eine Identität als Muslim/in überhaupt vereinbar sei mit der Bejahung von Demokratie,

Pluralismus. Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Flugs wandelt sich so die Frage nach Integration zu einer nach dem ideologischen Überbau. Inzwischen haben Muslime auf verschiedensten Ebenen immer wieder dokumentiert, dass eine Identität als Muslim sich auch theologisch verbinden lässt mit einem Bejahen der eben aufgezählten Werte.[3] Trotzdem bleibt die Fragestellung aufrecht, womit automatisch die konkreten Lebensumstände, bei deren Qualität selbstverständlich auch die so genannte Aufnahmegesellschaft Verantwortung trägt, aus dem Blickfeld gerät. Es besteht die Gefahr, dass sich der Diskurs einseitig auf einen Punkt zuspitzt, bei dem es pauschal darum geht, ob Muslime als Muslime überhaupt nach Europa „passen“. Als weitere Stufe wird dann mitunter aufgeworfen, ob es nicht sogar moralisch angeraten sei, Muslimen Chancengleichheit und die Prinzipien der Antidiskriminierung zu verweigern, um sich so vor „Islamisierung“ zu schützen. Damit wird der positive Partizipationsgedanke in Bezug auf die Integration ins Gegenteil verkehrt. Teilhabe wird geradezu als Strategie verdächtigt, die österreichische Gesellschaft islamisch umzufärben. Denn subtil will die Behauptung der „Islamisierung“, wo immer Muslime öffentlich sichtbar in Erscheinung treten, zu verstehen geben, dass damit auch das Ziel verbunden sei, künftig christliche, bzw. westliche Kultur zum Verschwinden bringen zu wollen.

 

Fixierung der muslimischen Frau auf eine Opferrolle

Die Komplexität des Diskurses liegt auch darin begründet, dass das Islambild in der Öffentlichkeit nicht erst seit 9/11 bestimmt ist von vielen negativen Assoziationen, Bildern und zum Teil historisch tradierten Einstellungen. Vorstellungen rund um das Thema „Frau im Islam“ sind hier besonders präsent. Gerade weil die Errungenschaften der Frauenbewegung wie Reformen im Familienrecht kaum einige Jahrzehnte zurückliegen, scheint eine besondere Sensibilität gegeben, wenn der Islam in der Außensicht wie ein Hort des Patriarchats erscheint. In der medialen Berichterstattung kommen Frauen mit muslimischem Hintergrund vor allem als Opfer vor – von Zwangsheirat, Ehrenmord, generell von Gewalt. Sie erscheinen durch die eigene Gesellschaft benachteiligt. Vor allem in Bezug auf die Wahrnehmung muslimischer Frauen kommen jene beiden Tendenzen zum Tragen, die die deutsche Forscherin Dr. Sabine Schiffer in ihrer Arbeit als bestimmend für die Ausbildung feindseliger Haltungen beschreibt: Das Festmachen einer Gruppe als defizitär gegenüber der Mehrheitsgesellschaft und die gleichzeitige Unterstellung, von dieser minderwertigen Minderheit „unterwandert“ zu werden.[4] Im Fall der muslimischen Frauen liegt eine zusätzliche Ebene darin, dass sie im Rahmen der beschriebenen Feindbildkonstruktion als „passive Opfer“ erst einmal gar nicht in Frage kommen, eine aktive Gestalterrolle in der perzipierten „Islamisierung“  des Westens übernehmen zu können. So mag sich auch erklären, wie das Image muslimischer Frauen bei jenen verschiedenen Gruppierungen, die gerne von der Gefahr der „Islamisierung“ sprechen, von einem doppelten Opferstatus bestimmt zu sein scheint. Denn die Ehre einer aktiven Rolle in diesem angeblichen Prozess wird ihnen nicht zugestanden, sondern sie werden stets als durch Männer in ihren Handlungen instrumentalisiert beschrieben und wären dementsprechend zu befreien. Ein populistischer Slogan der FPÖ veranschaulicht dies, als die Partei im letzten Wiener Wahkampf plakatierte. „Freie Frauen statt Kopftuchzwang!“

 

Identitätspflege durch Feindbilder

Muslime können nicht ganz die Augen davor verschließen, dass die Konstruktion von Bedrohungsszenarien mehr als nur eine Wurzel hat. Zum einen mag zwar ausschlaggebend sein, dass über Feindbilder relativ einfach die eigene Identitätspflege betrieben werden kann. Gerade wenn in Bezug auf die Gleichstellung der Frau auch im Westen noch längst nicht ein Idealzustand eingekehrt ist, erscheint es als das positive Selbstbild festigend, auf angeblich religions- oder kulturimmanente Missstände bei „den anderen“ hinzuweisen, statt den Finger in Wunden wie überfüllte Frauenhäuser oder Frauenhandel und Zwangsprostitution zu legen. Über die Folie der Negativabgrenzung gelingt es allemal leichter, eine eigene Identität zu behaupten, als diese wirklich benennen und durch die Praxis belegen zu müssen. Am vielleicht drastischsten geschah dies beim viel besprochenen Wahlkampfsager von Susanne Winter in Graz, mit dem sie den Propheten Muhammad zu diskreditieren suchte. Obwohl offensichtlich, wurde in der Diskussion darüber kaum der Zusammenhang hergestellt, dass ihre Aussage just in eine Zeit fiel, da in Österreich breit über schreckliche Fälle von Kindesmissbrauch diskutiert wurde – begangen von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft.

 

So deutlich das Prinzip der Projektion eigener Unzulänglichkeiten oder einer belasteten Geschichte auf die Minderheit auch sein mag, können Muslime sich andererseits nicht davor drücken, sich auch mit kritischen Fragen auseinanderzusetzen. Denn selbst wenn zu Recht die selektive Wahrnehmung bedauert wird, mit der einzig Negativschlagzeilen die Sicht auf sie zu bestimmen scheinen, so sind die dahinter stehenden Nachrichten real. Der Umgang mit Missständen, die scheinbar in einem religiösen Zusammenhang zu sehen sind, hat sich dabei in den vergangenen Jahren verändert.

 

Eine islamische Argumentation in der Überwindung von Unrecht und Gewalt an Frauen

Noch vor vielleicht zehn Jahren hieß es innerhalb der muslimischen Community, dass ein Thema wie „Zwangsheirat“  am besten nicht aus eigenem Antrieb in der breiten Öffentlichkeit aufzuwerfen sei. Dies wurde damit begründet, dass diese Praxis „unislamisch“ sei, begründet einzig in der Tradition mancher Regionen. Wenn allerdings eine Thematisierung durch gläubige, praktizierende Muslime erfolge, so müsse das in der Mehrheitsbevölkerung die Einschätzung ja noch bekräftigen, dass da zumindest irgendwie doch „der Islam“ dahinterstecke. Die Europäische Imamekonferenz von 2003 in Graz formulierte in ihrer Schlusserklärung lediglich einen eher allgemein gehaltenen Passus über die Gleichwertigkeit der Frau und ihre positive Rolle in der Gesellschaft. Erst die Nachfolgekonferenz 2006 legte nicht nur einen ausführlichen Passus über Frauenrechte fest, sondern fand darüber hinaus auch deutliche Worte gegen Missstände und Ungerechtigkeit. Hier heißt es: „Daher soll jede Form von Verletzung von Frauenrechten bekämpft werden. Zwangsehe, FGM, Ehrenmorde und familiäre Gewalt haben keine Grundlage im Islam.“[5] Damit wurde die These aktiv aufgegriffen, dass die Religion nicht das Problem, sondern im Gegenteil ein Teil der Lösung sei. Die zunehmende Homogenisierung des Islambildes und Ethnisierung von Problemen mag eine Rolle gespielt haben, hier eine eindeutige Stellungnahme zu geben. Vor allem aber bekannten sich die mehr als einhundertzwanzig delegierten Männer und Frauen der Konferenz zu ihrer Verantwortung als meiinungsbildende Persönlichkeiten in der muslimischen Gesellschaft, ihren Einfluss in der Bewusstseinsbildung geltend zu machen, um frauenbenachteiligende und –verletzende Haltungen und daraus resutlierende Taten zum Verschwinden zu bringen.

 

Aktive und sichtbare Musliminnen brechen Klischees

Muslimischen Frauen kommt eine Schlüsselfunktion zu, all die pauschalierenden Bilder und Vorstellungen über sie aufzubrechen. Statt als „Opfer“ eingeschätzt zu werden, das bestenfalls reagierend ins Geschehen eingreift, selbst aktiv handelnd in Erscheinung zu treten, erscheint dabei als wesentlich. Der Partizipationsgedanke ist somit gerade für muslimische Frauen von herausragender Bedeutung. Denn mit ihm ist die Hoffnung verbunden, das negative Image durch positive „role models“ zumindest zu relativieren und eine differenziertere Sicht zu erreichen, wenn nicht gar Schritt für Schitt alte Klischees zu überwinden.

 

Wie eingangs ausgeführt wurde, bedeutet die Teilhabe vor allem das sichtbare Mitwirken am gesellschaftlichen Leben und hat damit Komponenten, die mit dem Berufsleben, der Wohnsituation, Bildung und Gesundheit in Zusammenhang stehen, ferner mit vielleicht zusätzlichem (ehrenamtlichen) Engagement für die Allgemeinheit. Trotzdem sind muslimische Frauen immer wieder auch mit der Theologie konfrontiert, sei es durch Begegnungen im Dialog und die durch eine gewisse Grundskepsis der Dialogpartner gegenüber religiösen Rechten der Frau aufgebrachten Fragen, sei es durch die Notwendigkeit, durch die Veränderungen der Migration religiöse Inhalte neu zu reflektieren. Dabei kann es auch zu einer Auseinandersetzung im Sinne des dynamischen Selbstverständnisses der islamischen Religion kommen. Für unter neuen Rahmenbedingungen entstehende Fragen zur religiösen Praxis kann eine neue Auslegung auf Basis der Quellen notwendig werden. Die Forderung nach einer weiblichen Sichtweise bei der Auslegung der Religion, wie sie in jüngerer Zeit quer durch die muslimische Welt geäußert wird, trifft in Europa wie in den USA vielleicht auf einen besonders fruchtbaren Boden. Denn hier werden Widersprüche zwischen Tradition und Religion in der durch die Minderheitensituation angeregten verstärkten Reflexion eigener Positionen mitunter stärker bewusst und demzufolge nach deren Ursachen gesucht.

 

Frau im Islam: Status und Frauenrechte

Darum sei eine kurze Skizze zu einigen Grundprinzipien des islamischen Frauenbildes an dieser Stelle eingefügt. Der Rang, der muslimischen Frauen zukommen sollte, musste zur Zeit des Propheten Muhammad geradezu revolutionär wirken - in einer Zeit, da manche Stämme neugeborene Mädchen im Sand vergruben und Frauen vererbt wurden. An diese Aufbruchstimmung suchen moderne muslimische Frauen mit ihrer Forderung einer weiblichen Perspektive in der Interpretation anzuknüpfen. Denn  vor allem unter dem Titel „Schutz der Frau“ wurden im Laufe der Geschichte immer wieder einengende und bevormundende Interpretationen vorgenommen, wie sie patriarchal orientierten Gesellschaften generell zu eigen sein scheinen. Theologische Argumente können wirksam Bewusstsein für Frauenrechte bilden, vor allem in der nötigen Differenzierung zwischen religiösem Anspruch und frauen- benachteiligenden und dem Geist des Islam widersprechenden Traditionen.

 

In ihrer Stellung sind Mann und Frau vor Gott gleich. Gleich sind auch die Verpflichtungen durch die „fünf Säulen“ und der ethische Anspruch, sich für das Wohl der Gesellschaft einzusetzen.  Der Koran unterstreicht die Gleichwertigkeit: „Die einen von euch sind von den anderen“ (3:195). Mann und Frau sind aus gleicher Substanz geschaffen (4:1). Zu gleichen Teilen sind sie Adressaten im Koran, wenn es immer wieder „ihr gläubigen Männer, ihr gläubigen Frauen“ heißt. Beiden verheißt Allah als Lohn für ihr Wirken das Paradies. Dass der Islam keine Hierarchie zwischen Mann und Frau setzt, zeigt der Auftrag an beide, gegenseitige Verantwortung zu übernehmen, freundschaftlich miteinander umzugehen (9:71). In der Ehe hat Gott „Liebe und Barmherzigkeit“ zwischen sie gesetzt (30:21). Die Eheleute sind einander „wie eine Decke“ (2:187).

 

Zu den Frauenrechten gehören die eigene Rechtspersönlichkeit, das Recht (und die religiöse Verpflichtung!) auf Bildung, das Recht auf die Wahl des Ehepartners und Beibehaltung des eigenen Familiennamens in der Ehe, die Möglichkeit der Scheidung (etwa bei grober Behandlung, unerfülltem Geschlechtsleben, aber auch „wenn die Chemie nicht stimmt“) und auch Wiederverheiratung, ökonomische Unabhängigkeit: Recht auf eigenen Besitz und dessen selbständige Verwaltung, voller Unterhaltsanspruch gegenüber dem Ehemann, auch im Falle eines eigenen Einkommens, das nicht für das Familienauskommen aufgewendet werden muss, sondern allein der Frau zur Verfügung steht, Möglichkeit der Familienplanung, Recht auf Erbschaft, Partizipation am sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben der Gemeinschaft.

 

Partizipation im Berufsleben

Aber gehen wir nun nacheinander jene Bereiche möglicher Teilhabe durch, die sich in Österreich im Sinne der Integration durch Partizipation anbieten. Im Berufsleben begegnen muslimischen Frauen einer ganzen Reihe von Erschwernissen, vor allem wenn sie nicht die österreichische Staatsangehörigkeit besitzen. Dann sind sie wie viele Migrantinnen mit großer Wahrscheinlichkeit mit dem Problem konfrontiert, dass ihre ausländischen Abschlüsse und Zeugnisse in Österreich nicht nostrifiziert werden. Unabhängig von der Herausforderung der Aneignung der deutschen Sprache scheidet für viele somit aus, im erlernten Berufsfeld überhaupt arbeiten zu können. Zusätzlich problematisch ist die Situation, wenn erst gar keine Arbeitserlaubnis erteilt wird. Bei Familiennachzug können Frauen erst Jahre nach der Einreise eine Abeit annehmen. Dadurch sind sie besonders abhängig vom Ehemann.

 

Aber auch für muslimische Frauen der zweiten und dritten Generation, vielfach hier in die Schule gegangen und längst österreichische Staatsbürgerinnen, ist der Einstieg in den Arbeitsmarkt nicht immer einfach. Wenn sie sich muslimisch kleiden, also ein Kopftuch tragen, hören sie seitens potentieller Arbeitgeber häufig: „Die Stelle ist leider schon besetzt.“ Zwar schützt in Österreich seit Mai 2004 ein eigenes Antidiskriminierungsrecht vor religiöser Diskriminierung am Arbeitsplatz, womit eine Ablehnung aufgrund der religiösen Bekleidung nicht statthaft ist. Doch de facto können Arbeitgeber leicht verbergen, warum sie eine Ablehnung aussprechen. Und selbst wenn eine klar nachweisbare Stellenabsage wegen des Kopftuchs vorliegt, scheuen viele muslimische Frauen den Klagsweg. Volker Frey vom Klagsverband, der sich für Diskriminierungsopfer einsetzt, konstatiert in einem Interview mit der zeitung „Der Standard“ nur einen einzigen Fall, der vor Gericht gelandet sei, aber sich um den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen gehandelt habe, als eine Frau eines Geschäfts wegen ihres Kopftuchs verwiesen wurde.[6] Bei der zuständigen Gleichbehandlungsstelle ist kaum ein Fall eingegangen. Denn viele Betroffene fürchten, dass trotz der gesetzlichen Grundlage in den Augen der Öffentlichkeit der Gegenseite moralisch Recht gegeben würde und eine breite mediale Berichterstattung sogar kontraproduktiv wirken würde.

 

Freilich sollen auch die berufstätigen Frauen Erwähnung finden, die es geschafft haben in der Arbeitswelt Fuß zu fassen. Hier gibt es eine große Bandbreite an Berufen von der Taxifahrerin bis zur Ärztin, die jede für sich auch ein Stück beitragen, Klischees zu brechen. Wichtig ist, dass auch städtische Einrichtungen hier ein Zeichen setzen und die Sichtbarkeit von Migrantinnen und Minderheiten im Berufsleben bewusst fördern. In Wien wurde nun die erste Straßenbahnfahrerin mit Kopftuch eingestellt.

 

Bildung und Partizipation – Deutsch als Schlüssel

Die Beherrschung der deutschen Sprache wird zu Recht häufig als Schlüsssel zur Integration bezeichnet, ist sie doch ein entscheidendes Kriterium, überhaupt in eine Kommunikation eintreten zu können. Frauen mit Migrationshintergrund, die in der ersten Zeit der Anwerbung von Gastarbeitern meist im Familiennachzug nach Österreich kamen, hatten kaum Möglichkeit, die deutsche Sprache zu erlernen. Deutschlernen wurde auch von der Mehrheitsgesellschaft, bzw. von der Politik nicht als wesentlich betrachtet, weil man den Bedarf nicht erkannte und keine Sprachkurse ins Programm aufnahm. Dass hier lebendige Menschen und eben nicht entmenschtlichte „Produktionskräfte“ in einer Gesellschaft lebten, zu der sie auch einen Zugang und umgekehrt diese zu ihnen finden sollten, wurde übersehen. Rückblickend merken manche der ehemaligen Gastarbeiter auch zynisch an, in der Fabrik sei es wohl auch angenehm gewsen, dass da reine Befehlsempfänger am Werk waren, die mit ihrem brüchigen „Gastarbeiterdeutsch“ nicht aufmucken konnten. Die Frauen lebten zuerst auch in der Illusion, dass sie bald schon in die Heimat zurückkehren würden und sahen keine Notwendigkeit darin, die deutsche Sprache zu erlernen. Heute bedauern viele dieser Migrantinnen der ersten Generation, dass ihnen viele Zugänge durch ihr schlechtes Deutsch verwehrt sind. Tragisch ist, dass solche Versäumnisse später kaum aufzuholen sind. Durch die Anwerbung aus ländlichen Gebieten, die auch im innertürkischen Vergleich als mangelhaft entwickelt und strukturell benachteiligt gelten, kamen Menschen mit geringem Bildungsniveau ins Land. Vor einem Deutschkurs steht so mitunter – gerade bei Frauen – die Alphabetisierung. Dass Deutschlernen als Notwendigkeit erkannt wird, zeigen die erfolgreichen Kurse, die speziell auf Frauen zugeschnitten sind. Denn welche Mutter fühlt sich schon wohl dabei, wenn die Kinder für sie bei Behördenwegen oder in der Schule am Sprechtag übersetzen müssen? So gibt es nun niederschwellige Angebote wie „Mama lernt Deutsch“, das die Frauen besuchen können,während ihre Kinder im Kindergarten oder in der Schule sind.

 

Der Fokus auf die Kenntnis der deutschen Sprache soll gleichzeitig nicht verdecken, dass Integration nicht allein ein Thema von Sprache ist und dass im Bildungssektor mehr zu berücksichtigen ist als einzig das „Deutschlernen“. Von der schwierigen Nostrifizierung im Ausland erworbener Abschlüsse und darauf zuzuschneidender fehlender Weiterbildungsmöglichskeiten bis zum Schulsystem, in dem immer noch unvergleichlich mehr Kinder mit Migrationshintergrund in Sonderschulformen landen und dagegen die Matura zu geringem Prozentsatz schaffen. Wer die PISA Studien in ihrer Auswertung kennt, weiß, dass die soziale Durchlässigkeit des Bildungssystems in Deutschland und Österreich noch mangelhaft ist und wird hier auch eine soziale Herausforderung sehen.

Positiv zu vermerken ist, dass die zuständige Bundesministerin Schmied sich wiederholt zu der Thematik äußerte und Reformen wie stärkere Förderung der sprachlichen Kompetenz greifen sollen. Auch ein höherer Anteil von Lehrkräften mit Migrationshintergrund wird von ihr angestrebt.

 

Partizipation in Politik und Gemeinwesen

Auf Landtagsebene haben es einige Musliminnen erreicht, einen Sitz zu erlangen. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Referats ist mit Alev Korun von den Grünen die erste Muslimin in den Nationalrat eingezogen. Durch ihren speziellen Hintergrund können diese Mandatarinnen, die in SPÖ, ÖVP und bei den Grünen anzureffen sind, eine Art Brückenbaufunktion in ihre muslimische Community übernehmen. Gleichzeitig wollen sie aber keine „Alibifrauen“ sein, die womöglich auf billigen Stimmenfang ausgeschickt wurden. Deshalb kann man beobachten, wie sie sich bewusst mit der ganzen Bandbreite des politischen Alltags auseinandersetzen.

 

Die Präsenz von Musliminnen auf der Ebene von Vertretungen wie Elternforen oder Mieterbünden wäre noch weiter zu fördern, ist die Beteilung hier doch gering. Aber gerade in solchen Funktionen, die ganz direkt aus dem österreichischen Alltag entspringen, wäre auch anzusetzen. Hier ist besonders spürbar, wie Integration als beidseitiger Prozess abläuft. Denn wollte man tiefer analysieren, worin die geringe Beteiligung ihre Wurzeln hat, wäre nicht allein die Frage nach womöglich mangelnder sprachlicher Kompetenz zu stellen, sondern auch darauf einzugehen, wie durchlässig das System überhaupt für Personen ist, die als Minderheit „anders“ wahrgenommen werden. Gegenseitige Berührungsängste, Hemmschwellen spielen hier ebenso eine Rolle wie noch wenig Einsicht in die Bedeutung von interkulturellem Verständnis, um verschiedene gesellschaftliche Codes, die Anlass für Missverständnisse bieten können, besser zu erkennen und damit umgehen zu können. Aufschlussreich erscheint eine Erfahrung, die man im Dialog immer wieder machen kann: Im Gespräch mit Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft wird die „Zurückgezogenheit“ der muslimischen Nachbarn beklagt, dass man „nicht zusammenkomme“. Umgekehrt merken muslimische Gesprächspartner an, in Österreich sei „alles so kalt“, „Nachbarschaft nichts wert“.

 

Partizipation innerhalb des muslimischen Vereinslebens

Bezeichnend für ein gewandeltes Selbstbild und ein sich abzeichnendes neues Rollenverständnis ist auch die Tendenz, wie muslimische Frauen sich innerhalb des Vereinslebens nicht mehr mit dem Platz hinter dem Kuchenbuffet bei wohltätigen Veranstaltungen zufriedengeben, sondern echte Mitsprache anstreben. Freilich sind die „klassischen“ Moscheevereine nach wie vor männlich dominiert. Doch in der Islamischen Glaubensgemeinschaft sind seit dem Jahr 2000 auch Frauen als Funktionärinnen aktiv, seit 2002 auch im Obersten Rat, dem höchsten Gremium.

 

Hinter dem Bedürfnis nach Selbstorganisation von Frauen steht gleichzeitig das Bewusstsein, dass Männer in den Diskurs um Frauenrechte und die Position von Frauen in der Gesellschaft einzubeziehen, ja „in die Pflicht zu nehmen“  sind. In Graz ist mit SOM, der Selbstorganisation von und für Migrantinnen und Musliminnen, ein Verein aktiv, der neben einer Spitalsbegleitung, Perspektivenberatung und Fortbildungsveranstaltungen sich auch durch Dialog um Aufklärung bemüht und eine Klientin in ihrem Anliegen bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft unterstützt.

Die Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen erhob es von Beginn 1999 an zur Strategie, keine „Frauenabteilung“ einzuführen, sondern alles gleichberechtigt und gemeinsam anzugehen und Frauen auch in Bereichen Aktivitäten zu überlassen, die, weil nicht rein karitativ – erst einmal als nicht typisch, auch von Nichtmuslimen, wahrgenommen wurden. Das Forum Muslimische Frauen ist ein weiterer Verein, der auch kritisch an Frauenthemen herangeht. Jünger sind die Jungen Musliminnen Österreich, die mit der MJÖ, Muslimischen Jugend Österreich, in engem Zusammenhang stehen und mit dem jährlich durchgeführten „Fatima“-Projekt ein auch durch Ministerien und andere Institutionen gefördertes Programm zum Empowerment junger Frauen durchführen. Die Vorsitzende der MJÖ ist mit Tugba Seker seit Beginn 2008 erstmalig in Österreich bei einem „gemischten“ muslimischen Verein eine Frau.

 

Abschließend lässt sich festhalten, dass muslimischen Frauen eine ganz besondere Rolle im Integrationsprozess zukommt. Darum ist jede Investition vor allem in Bildungsmaßnahmen eine Ausgabe, die sich in ihrem nachhaltigen positiven Effekt vielfach auszahlt. Denn muslimsiche Frauen sind auf jeden Fall auch Multiplikatorinnen – sei es in der Familie oder im Berufsleben. Selbstbestimmte und selbstbewusste muslimische Frauen können wirkungsvoll auch in die Gesellschaft tragen, dass es absolut vereinbar ist, sich gleichzeitig als Muslimin und in Österreich beheimatet zu fühlen.

 

 

 



[1] Integration: Zahlen. Daten. Fakten 2008, herausgegeben vom Österreichischen Integrationsfonds. ISBN 978-3-9502519-0-6

[2] siehe S. 66 und 67 ebenda

[3] Siehe z.B. Schlusserklärung der Grazer Imamekonferenz 2003: http://www.derislam.at/islam.php?name=Themen&pa=showpage&pid=66

[4] Vgl. Sabine Schiffer: Die Darstellung des Islams in der Presse. Sprache, Bilder, Suggestionen. Eine Auswahl von Techniken und Beispielen. Würzburg 2005

[5] Siehe: http://www.derislam.at/islam.php?name=Themen&pa=showpage&pid=174

[6] Siehe: http://derstandard.at/Text/?id=1207285942849